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Missionare für Magie

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Es war einmal (vor ein paar Jahren) ein Unternehmen namens what3words, welches versucht hat (und anscheinend auch noch immer versucht), Geld mit dem Verkauf eines Adressen-Systems zu verdienen, welches darauf basiert, geographische Koordinaten in eine Zeichenkette zu kodieren. Für jeden mit ein bisschen Verständnis für Geodaten und Geographie ist die Idee, daraus ein Geschäft zu machen, ziemlich offensichtlicher Irrsinn, aber es ist noch irrsinniger, dass sie damit zumindest in begrenztem Rahmen auch noch Erfolg hatten.

Die Sache ist dabei, dass Koordinaten mit einem Gitter-System in irgendeiner Form zu codieren überhaupt nichts neues ist, so dass man die Idee natürlich nicht patentieren kann. Und man kann auf die kodierten Koordinaten auch nicht wirklich Urheberrechts-Ansprüche anmelden. Der einzige Weg damit Geld zu verdienen ist also, das Kodierungs-System geheim zu halten und für Lizenzen für dessen Nutzung Geld zu verlangen.

Insgesamt kann man wohl sagen, dass what3words damit sehr erfolgreich unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem getrollt hat.

Für andere Unternehmen in der Branche von ortsbezogenen Diensten, insbesondere natürlich Google, war und ist das Ganze recht ärgerlich. Nicht nur als Konkurrenz sondern auch, weil es die ganze Branche der Lächerlichkeit preis gibt. Das Interesse von Google liegt hier also nicht in erster Linie darin, what3words Marktanteile abzunehmen und mit den selben Dingen Geld zu verdienen – die haben wichtigere Dinge zu tun. Nein, die wollen in erster Linie den Troll loswerden, der die Reputation der gesamten Branche ruiniert.

Um das zu tun macht Google das offensichtliche, sie entwickeln ein alternatives, offenes Kodierungs-System und propagieren es als bessere Alternative in der Hoffnung, dass wer vor der Wahl zwischen einem kostenlosen oder einem kostenpflichtigen System von what3words steht sich eher für das kostenlose entscheidet – vorausgesetzt man untermauert das Genug mit Marketing-Maßnahmen und sichtbarer Unterstützung durch Dritte.

Das ist in etwa der Hintergrund der Situation, die wir im Moment haben. Was ich schon damals, als es mit what3words los ging, bemerkenswert fand ist, dass der einzige wesentliche Kritikpunkt bei der Sache die proprietäre Natur des Systems war. Aber im Grunde gibt es daran noch eine Menge mehr zu kritisieren.

Die wesentliche Verkaufsmasche bei diesen Koordinaten-Kodierungs-Systemen ist, dass es weite Teile der Welt ohne zuverlässiges Adressen-System gibt, insbesondere in Regionen mit rapide wachsender Bevölkerung wie in großen Teilen Afrikas. Also denken sich die IT-Entwickler im Silicon Valley: Das können wir lösen indem wir automatisch Adressen für alle diese armen Leute ohne Adressen erzeugen. Das wäre in Ordnung, wenn sie es dabei belassen hätten und einfach allen Interessierten das Kodierungs-System zur Verfügung gestellt hätten – zur Nutzung nach eigenem Ermessen (und natürlich ohne den fragwürdigen Versuch damit Geld zu verdienen wie bei what3words).

Das ist jedoch nicht das, was jetzt passiert. Da das wesentliche Motiv von Google ist, die Ärgerlichkeit namens what3words los zu werden, können sie sich nicht einfach damit zufrieden stellen, ihre offene Alternative jedem zur Verfügung zu stellen, sie müssen das zumindest so weit offensiv vermarkten, dass es hinsichtlich Markt-Bedeutung in die Nähe von what3words kommt. Und der ganze humanitäre und Entwicklungshilfe-Sektor springt natürlich sofort darauf auf, denn man will ja offensichtlich den armen Leuten in Afrika auch helfen und nicht einfach nur tatenlos daneben stehen wenn Google die beste Idee seit geschnittenem Brot ausrollt.

Zeit für einen Schritt zurück und einem Blick darauf, was Adressen-Systeme eigentlich ausmacht (denn das ist ja der Zweck, für den die Koordinaten-Kodierungs-Systeme dienen sollen). Sarah Hoffmann hat dies in ihrer Präsentation zu Nominatim auf der SotM recht gut erläutert. Adressen sind die Methode, mit welcher Menschen üblicherweise in Kommunikation mit anderen geographische Orte spezifizieren. Da sie vom Menschen für Menschen entwickelt wurden und üblicherweise über Jahrhunderte entstanden sind, unterscheiden sich solche Systeme weltweit recht deutlich abhängig von lokalen kulturellen Besonderheiten. Solche Adressen-Systeme sind üblicherweise danach modelliert, wie ein Mensch seine lokale geographische Umgebung wahrnimmt. Aus diesem Grund ist die Entwicklung eines Geocoders (eines Programms zur Übersetzung zwischen geographischen Koordinaten und Adressen) eine recht anspruchsvolle Aufgabe.

Die zuvor besprochenen Koordinaten-Kodierungs-Systeme sind dagegen danach modelliert, was für den Computer am einfachsten zu interpretieren ist, also die geographischen Koordinaten. Die Kodierung ist zwar darauf abgestimmt, für Menschen lesbar und kommunizierbar zu sein (wobei what3words und Google hier sehr unterschiedliche Ansätze gewählt haben) aber es ist immer noch ein Code, den man entweder auswendig lernen oder nachschauen muss, denn es gibt dazu kein mentales Umfeld in der geographischen Wahrnehmung, das die eigene Addresse in einen Zusammenhang stellt. Da das Kodierungs-Verfahren auch nicht realistischerweise im Kopf durchführbar ist, lässt sich so ein Code eigentlich nur als Adresse verwenden, indem man ihn als magischen Code interpretiert. In anderen Worten: Der einzige Weg, so etwas als Adressen-Sytem in der Kommunikation zwischen Menschen zu verwenden ist, den Code von seiner ursprünglichen Bedeutung loszulösen und ihn als reine Magie zu betrachten.

Das ist es, was Leute aus dem humanitären Sektor anscheinend im Moment verbreitet tun, es werden automatisch in großer Zahl Codes für Gebäude in afrikanischen Ländern erzeugt und diese werden den dort lebenden Leuten dann als die Adressen dieser Gebäude präsentiert. Ein Teil dieses Vorhabens schwappt auch auf OpenStreetMap über wo natürlich die Idee, Codes als Attribute von Objekten zu speichern, welche nur eine Kodierung der geographischen Koordinaten dieser Objekte sind, ziemlich absurd ist. Aber aus der Sicht der in solch einem Projekt beteiligten Leute macht dies natürlich irgendwie Sinn, denn um Menschen dazu zu bringen, diese Codes in der Kommunikation zwischen Menschen zu verwenden und ihnen dadurch eine tatsächliche soziale Bedeutung zu geben, muss man sie wie erläutert als magische Codes losgelöst von ihrer ursprünglichen Bedeutung etablieren.

Ich finde die hinter diesen Versuchen stehende Einstellung ziemlich zynisch und menschenverachtend – und zwar sowohl mit einem proprietären als auch mit einem offenen Kodierungs-System. Anstatt den Menschen in Dörfern in Afrika zu helfen und sie zu beraten, ihr eigenes lokales Adressen-System zu entwickeln, angepasst an ihre lokalen Gegebenheiten und die spezifischen Bedürfnisse, entwickelt man ein System magischer Codes, gestaltet so, dass deren Erzeugung möglichst bequem zu programmieren ist, und legt Menschen in Afrika nahe, ihr Leben um dieses System magischer Codes herum zu organisieren. Die Arroganz und Geschichtsvergessenheit dahinter finde ich ziemlich erschreckend.

Um das klar zu sagen: Ich denke, dass die meisten Leute, die sich derzeit für die Verbreitung dieser Kodierungs-Systeme einspannen lassen, sich vermutlich über diese Zusammenhänge gar nicht im klaren sind, was ein Grund ist weshalb ich hier darüber schreibe.

Und natürlich ist an der Idee, geographische Koordinaten in irgendeiner Form zu kodieren, nichts grundsätzlich verwerfliches. Es sind dafür durchaus Nutzungsmöglichkeiten denkbar, zum Beispiel in der Kommunikation von Mensch zu Computer. Aber wir reden dann natürlich nicht mehr über ein Adressen-System, sondern um ein System zu Angabe und Kodierung von Koordinaten.

Übrigens ist das was Google jetzt forciert im Grunde nur eine primitivere Variante von etwas deutlich älterem. Das System von Google versagt in Pol-Nähe – ein Problem welches sich recht einfach vermeiden ließe, wenn man ein bisschen mehr Gehirnschmalz darin investiert hätte. Aber Google ist wie üblich mit der 90-Prozent-Lösung zufrieden.

Nachtrag: Frederik hat eine FAQ (auf Englisch) zu dem Thema geschrieben welche eine ganze Reihe praktischer Fragen dazu beantwortet.

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