Ich war gerade dabei Material für einen Vortrag vorzubereiten, den ich nächste Woche auf der Intergeo in Frankfurt halten werde und habe mich dabei an ein Thema erinnert, über das ich schon seit einiger Zeit hier schreiben wollte. In dem Vortrag geht es um die Rolle von OpenStreetMap und offenen Daten im Allgemeinen bei der Entwicklung der digitalen Kartographie von einer reinen Dematerialisierung vor-digitaler Arbeitsabläufe hin zu einer regelbasierten Kartographie wo die Arbeit des Kartographen nicht mehr in der Verarbeitung konkreter Daten besteht, sondern in der Entwicklung von Regeln, welche die automatische Produktion einer kartographische Visualisierung aus generischen Geodaten steuern. Ich habe diese Idee mit einem etwas anderen Schwerpunkt bereits auf der FOSSGIS in Bonn präsentiert.
Beim Nachdenken über das Thema habe ich mich an die schon vor einiger Zeit erlangte Erkenntnis erinnert, dass der Erfolg des OpenStreetMap-Projektes zwar weit verbreitet primär auf die Idee der offenen gemeinschaftlich erfasster Daten zurückgeführt wird, dies aber nur die halbe Geschichte ist. Ich lehne mich mal ein bisschen aus dem Fenster – wenngleich man hier natürlich kaum was beweisen kann – und behaupte, dass der Erfolg von OpenStreetMap mindestens zum selben Anteil durch den revolutionären Ansatz bedingt ist, eine komplett generische Datenbank geographischer Daten zu produzieren. Im Bereich der Kartographie war dies zu dem Zeitpunkt ein völlig weltfremder und scheinbar absurder Ansatz. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob dies tatsächlich ursprünglich eine bewusste Entscheidung war oder ob dies einfach das Glück war, das Thema ganz ohne all die Voreingenommenheiten anzugehen, die Kartographen dieser Zeit halt gewöhnlich so hatten.
Heute ist mein Eindruck meist, dass es nicht so sehr der Umfang oder die Qualität der Daten oder ihre freie Verfügbarkeit sind, die selbst eher konservative Leute in der Kartographie dazu bringt, die Bedeutung von OpenStreetMap anzuerkennen, sondern die Fähigkeit, die eigene Position in einer sich rapide verändernden Welt zu erhalten und auszubauen, ohne viel in den Grundlagen des Projektes zu ändern und fast ohne irgendwelche zentrale Steuerung des Projektes. Es gab in den letzten Jahren in der OSM-Community eine ganze Reihe von Stimmen, die eine technologische Stagnation im Projekt kritisiert haben – eine Kritik, die nicht überall ganz falsch ist. Aber eines der bemerkenswertesten Dinge an OpenStreetMap ist, dass das Projekt trotz solcher Probleme in der Lage ist, das Wachstum und die Entwicklung der letzten 14 Jahre zu ermöglichen ohne dass das Projekt in seinen Grundstrukturen je neu aufgesetzt und neu definiert wurde wie das bei vergleichbaren eher traditionellen Projekten vermutlich alle paar Jahre notwendig gewesen wäre. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies nicht für die absehbare Zukunft mit den selben Grundprinzipien auch weiter funktionieren kann. Wobei ich mich mit dieser Einschätzung nur auf die Kern-Prinzipien des Projektes beziehe und nicht alles, was sich mit der Zeit darum herum eintwickelt hat.
Man könnte sich also stolz zurücklehnen und denken: Alles gut. Aber das ist natürlich nicht die ganze Geschichte. Da OpenStreetMap mit seiner revolutionären Herangehensweise an die Kartographie anfangs ziemlich alleine war, musste das Projekt die meisten Dinge aus praktischer Notwendigkeit selbst entwickeln und wurde damit zu einer recht innovativen Kraft in der kartographischen Datenverarbeitung. Später kam dann das große Feld der Open-Source-Software in der Geodaten-Verarbeitung und diverse offene Standards bei Geodaten und Datendiensten dazu, welche sich parallel zu OpenStreetMap entwickelt haben, wo aber bei einigen OpenStreetMap ein bedeutendes erstes Anwendungsfeld war, so dass OpenStreetMap weiterhin in vielen Dingen Innovation in der kartographischen Technologie vorangetrieben hat (wenngleich man hier auch ein bisschen Anerkennung für Google geben sollte).
Damit, dass die institutionelle Kartographie sich zunehmend den Ideen der regelbasierten kartographischen Ansätze öffnet, sind diese Werkzeuge und die Möglichkeiten, die sie bieten aber kein exklusives Feld von OpenStreetMap mehr. Während man vor 5-8 Jahren eine Karte auf OSM-Basis meist schon aus der Entfernung aufgrund bestimmter charakteristischer Gestaltungs-Elemente als solche erkennen konnte ist dies heute nicht mehr der Fall. Kartenproduzenten kombinieren verbreitet OSM- und nicht-OSM-Daten, zum Beispiel auf Basis regionaler Aufteilungen, und das ist oft ohne dass man genau hinschaut nur schwer zu erkennen.
Anders ausgedrückt: OpenStreetMap hat seine fast vollständige Dominanz des technologischen Felds der regelbasierten digitalen Kartographie verloren. Daran ist an sich nichts schlechtes, denn OSM ist kein Technologie-Projekt, sondern ein Projekt zur gemeinschaftlichen Erfassung geographischer Daten – und in diesem Bereich nimmt seine Dominanz eher zu als ab. Dennoch hat diese Entwicklung einen erheblichen Einfluss auf das Projekt, denn OSM entwickelt sich damit nicht mehr in seinem eigenen isolierten Ökosystem, welches es anfangs aufgrund der fundamentalen Unterschiede zur traditionellen Kartographie geschaffen hat und in welchem die einzige sichtbare Konkurrenz im Grunde die kommerziellen nicht traditionellen Kartographie-Projekte waren (also Google, Here, usw.). Jetzt ist dieses Feld deutlich breiter und flacher geworden. Und auf diesem breiteren Feld finden auch andere Datenquellen Verwendung, insbesondere auf regionaler Ebene, aber auch globale, automatisch erzeugte Datensätze, andere gemeinschaftlich produzierte Daten wie Wikidata sowie weiterverarbeitete von OSM abgeleitete Daten. Mit all diesem steht OSM nun im Grunde im Wettbewerb und es gibt keine nennenswerte technologische Hürde aufgrund verschiedener kartographischer Traditionen mehr, die dem im Wege steht.
Wie bereits gesagt ergibt sich für OpenStreetMap hieraus im Grunde kein Problem als Datenproduzent. Das Haupt-Risiko hieraus resultiert in meinen Augen aus den Reflexen, mit denen viele Leute in der OSM-Community auf diese Entwicklung reagieren, weil sie diese zumindest unterbewusst doch als Bedrohung wahrnehmen.
Ich sehe hier zwei bedeutende Trends:
- Die Abkehr vom Prinzip der generischen Geodaten und dem Grundsatz der Überprüfbarkeit, welche maßgeblich für den Erfolg von OpenStreetMap verantwortlich waren. Die Leute sehen die Stärke von OSM in der großen Gemeinschaft mit vielen Leuten aber sie haben kein Vertrauen, dass diese Stärke sich auf lange Sicht gesehen im Bereich überprüfbarer geographischer Informationen gegen die Kombination von institutionellen Datenproduzenten, Bot-Mapping und Fernerkundung erfolgreich behaupten kann. Also versucht man, den Bereich subjektiver, handgestalteter kartographischer Informationen, welchen die institutionellen Produzenten gerade zunehmend verlassen, da er für sie nicht mehr tragfähig ist, zu erschließen, also gerade den Bereich, der bis jetzt bei OpenStreetMap bewusst ausgespart ist.
- Sich an den Annehmlichkeiten der Isolation vom Rest der Welt der Kartographie festzuhalten indem man die Welt außerhalb von OpenStreetMap ignoriert oder sie als irrelevant deklariert. Die technologische Trennung zwischen OpenStreetMap und der eher traditionellen Kartographie hat schon immer ein gewisses Risiko der Selbstbezüglichkeit mit sich gebracht, insbesondere mit dem Wachstum des Projektes. Die breite Nutzung von OSM-Daten auch außerhalb der unmittelbaren Umgebung des Projektes hat dem bis jetzt allerdings recht erfolgreich entgegen gewirkt. Aber dennoch gibt es einen gewissen Trend in der OSM-Community, die Komplexität der Welt auszublenden und irgendwie zu versuchen, selbstgenügsam in der eigenen Welt weiter zu arbeiten.
Ich glaube, dass diese beiden Trends – egal ob diese jetzt ausschließlich eine Reaktion auf die beschriebenen Entwicklungen sind oder ob da auch noch andere Faktoren hineinspielen – zu den größten Herausforderungen zählen, denen OpenStreetMap derzeit gegenüber steht. Wie gesagt sind die Kern-Prinzipien des Projektes (generische, überprüfbare Geodaten auf Grundlage des lokalen Wissens der Beitragenden) im Grunde eine solide Basis, welche das Projekt vermutlich für die absehbare Zukunft tragen können – jedoch nur, wenn die OSM-Community auch Vertrauen und Unterstützung für diese Prinzipien mitbringt.
Ich werde vermutlich noch detaillierter in einem zukünftigen Beitrag zu den Tendenzen gegen die Überprüfbarkeit von Daten in OSM schreiben.
Eine andere damit verbundene Entwicklung ist, dass während im OpenStreetMap-Ökosystem eine umfassende Dominanz von Open-Source-Software herrschte die Welt der institutionellen Kartographie seit jeher auch stark von proprietärer Software geprägt ist, Es ist kein Zufall, dass Esri vor ein paar Monaten einen Kartendienst auf Grundlage proprietärer Software vorgestellt hat, der recht klar dem OSM-Standardstil nachempfunden ist, welcher gewissermaßen ein Sinnbild für die regelbasierte Kartographie in OpenStreetMap darstellt. Es ist klar, dass die Anbieter proprietärer kartographischer Software sich aus der regelbasierten Kartographie nicht raushalten möchten. Und bei den institutionellen Kunden hat man hier auch gar keine schlechten Startbedingungen.
Dies ist natürlich weniger für OpenStreetMap direkt eine Herausforderung als für die OSGeo-Welt.