Heute feiern wir das 15-jährige Jubiläum des OpenStreetMap-Projektes. Das Datum ist etwas willkürlich aber trotzdem möchte ich die Gelegenheit nutzen, ein bisschen darüber nachzudenken, was denn die nächsten 15 Jahre bringen könnten und wie die Dinge möglicherweise aussehen werden, wenn 2034 das 30-jährige Jubiläum stattfindet.
Die meisten Szenarien zur Zukunft von OpenStreetMap, die in der Vergangenheit präsentiert wurden, konzentrieren sich auf die praktischen Aspekte des Projektes, wie es mit zukünftigem Wachstum skaliert, was technologische Entwicklungen verändern werden und was für Probleme das mit sich bringen dürfte.
Worauf ich hier schauen möchte ist dagegen eher die soziale Dimension des Projektes als Ganzes. Und dazu möchte ich das was OpenStreetMap ausmacht in zwei Dinge aufteilen:
- das konkrete Projekt mit dem Namen OpenStreetMap.
- die allgemeine Idee hinter dem Projekt, das lokale geographische Wissen von Leuten von ihrer eigenen Umgebung durch gleichberechtigte Zusammenarbeit dieser Leute zu sammeln und zu teilen.
Ich kann natürlich nicht zuverlässig vorhersagen, was im Verlauf der nächsten 15 Jahre passieren wird, aber wenn ich mir Trends der letzten paar Jahre anschaue, sowohl was OSM als auch was die Welt im Allgemeinen angeht, dann scheint es wahrscheinlich, dass
- beide genannten Dinge in 15 Jahren noch existieren werden
- sich die beiden genannten Dinge jedoch trennen und in unterschiedliche Richtungen entwickeln werden.
Was schwebt mir vor, wenn ich hier von Trennung spreche? Die Idee ist, dass sich OpenStreetMap vermutlich vom Schwerpunkt des lokalen geographischen Wissens, gesammelt und gepflegt von lokalen Mappern, weg entwickeln wird. Dies hat sich schon in den letzten Jahren als Trend abgezeichnet – der Anteil von Daten in der OSM-Datenbank, welche noch nie substantiell von Mappern mit lokalem Wissen überprüft worden sind, nimmt rapide zu. Manche mögen einwenden, dass es schon vor langer Zeit großvolumige Daten-Importe gab. Aber im Gegensatz zu Importen vor 5-10 Jahren, welche immer mit der Absicht gemacht worden sind, dass die Daten von lokalen Mappern adoptiert werden und mit ihrem lokalen Wissen in Einklang gebracht werden gibt es heute bestenfalls noch eine vordergründige Behauptung, das anzustreben. Ernsthaft daran glauben tut jedoch kaum noch jemand, wenn heute Daten importiert werden und organisierte Erfassungs-Projekte aus der Entfernung stattfinden. Der Anteil von Daten, welche nicht in lokalem menschlichen Wissen geerdet sind, ist in verschiedenen Teilen der Erde sehr unterschiedlich und global liegt er vielleicht noch bei weniger als 30 Prozent. Aber er wächst schnell.
Es ist eine ziemlich sichere Annahme, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Was unsicherer ist, ist die Zukunft der gemeinschaftlichen Erfassung von lokalem geographischen Wissen. Man kann natürlich nur dann von einer Trennung sprechen, wenn tatsächlich eine nennenswerte Gemeinschaft außerhalb von OpenStreetMap entwickelt, die sich mit solcher Datensammlung beschäftigt. Im Moment sehe ich kein wahrscheinliches praktisches Szenario, wie das passieren könnte. Viele werden dies für unwahrscheinlich halten, zumindest so lange OpenStreetMap in irgendeiner Form existiert, denn die Hürde, eine neue Gemeinschaft für ein solches Projekt aufzubauen würde durch die Konkurrenz in Form von OpenStreetMap massiv verstärkt. Manche mögen auch Wikipedia/Wikidata für eine mögliche Plattform hierfür halten – das scheint mir jedoch aufgrund der grundsätzliche anderen Ausrichtung dieses Projektes unwahrscheinlich. Ich halte es dennoch für wahrscheinlich, dass es zu so einer Trennung kommt, denn die beschriebenen Trends in OpenStreetMap schränken den Raum im Projekt, der sich für eine solche gleichberechtigte und selbstbestimmte Zusammenarbeit bietet, stark ein. Wenn sich der Schwerpunkt von lokalem geographischen Wissen, gepflegt von lokalen Mappern, wegbewegt, führt dies automatisch zu einer stärkeren sozialen und kulturellen Schichtung im Projekt, denn es gibt ja keine lokale Kontrolle und Aufsicht über die Karte mehr, welche durch lokales Wissen legitimiert wird. Und wie motiviert man jemanden, in einem bestimmten Gebiet die Daten zu Pflegen und das Mapping zu beaufsichtigen und wie erhält so jemand die Autorität, das zu tun? Die offensichtliche Antwort ist: Indem man sie bezahlt und ihnen soziale Privilegien zuteilt. Es gab ja schon verschiedentlich Forderungen, bezahlte “Community-Manager” einzustellen und wir werden sicherlich in den nächsten Jahren Initiativen in der OSMF sehen, Leute für Management-Aufgaben zu bezahlen. Und auch auf der eigentlichen Arbeits-Ebene, wie beim Mappen und bei der Software-Entwicklung, erkennt man schon jetzt eine zunehmende soziale Aufspreizung, befeuert dadurch, dass einige Leute für ihre Arbeit im Projekt in Vollzeit von externen Interessenträgern bezahlt werden, während die große Masse der lokalen Mapper gewissermaßen eine Arbeiter-Klasse bilden, ohne substantiellen Einfluss auf Entscheidungen, nicht mal lokal in ihrer Gegend.
Das klingt jetzt vielleicht recht pessimistisch – vermutlich würde es sich aber gar nicht so anfühlen, wenn dieses Szenario sich tatsächlich so wie beschrieben entwickelt. Eine klare Führungs- und Entscheidungs-Struktur im Projekt scheint für viele Teilnehmer durchaus erstrebenswert. Während für mich die kulturübergreifende gleichberechtigte Zusammenarbeit von Leuten von überall auf der Welt dabei, ihr lokales Wissen zu sammeln und zu teilen, den wichtigsten Aspekt von OpenStreetMap darstellt und den Kern der Erfolgsgeschichte der letzten 15 Jahre bildet, weiß ich, dass viele Mapper diese Präferenz nicht wirklich teilen und im Grunde nur eine zuverlässig funktionierende Plattform wünschen, wo sie ihre Sachen beisteuern können und Mapping-Arbeit machen können, die ihnen Spaß macht. Und an diesen Wünschen ist nichts inhärent weniger wichtig und gerechtfertigt als an meinen.
Wie gesagt bin ich mir ziemlich unsicher bei der Frage, wie die Zukunft der kooperativen Sammlung von lokalem geographischen Wissen aussehen wird. Es ist sehr gut möglich, dass diese eher die Form verschiedener kleiner regionaler Projekte annehmen wird, möglicherweise auch mit einer strengen thematischen Begrenzung. Im Moment werden so gut wie alle Initiativen in dieser Richtung im Grunde von OpenStreetMap absorbiert und es ist schwer vorherzusagen, was passieren würde, wenn dies nicht mehr der Fall ist. Es ist auch möglich, dass der Zeitrahmen solcher Entwicklungen den 15-Jahres-Horizont übersteigt, den ich hier betrachte.
Gibt es eine Chance, dass sie skizzierte Trennung nicht stattfindet und dass OpenStreetMap in 15 Jahren genau so oder noch mehr als heute in Platz ist, wo lokales geographisches Wissen durch gleichberechtigte, selbstbestimmte Zusammenarbeit einzelner Menschen gesammelt wird? Natürlich. Das würde starkes und nachhaltiges Engagement von lokalen Mappern überall auf der Welt erfordern, diese Vision der Zusammenarbeit zu verteidigen – auch gegen starke Interessen, die dazu nicht kompatibel sind. Ich würde mich freuen, das zu sehen, aber wie erläutert deuten die Trends derzeit in eine andere Richtung.