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Regeln der Interaktion

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Dieser Beitrag befasst sich mit der Idee von Verhaltenskodizes/Verhaltensregeln, also Dokumenten, welche soziale Interaktionen regulieren, im Zusammenhang mit dem OpenStreetMap-Projekt. Ich möchte mich dabei vor allem auf Regeln für nicht-virtuelle Interaktion konzentrieren, also Veranstaltungen, wo sich Leute physikalisch treffen.

Zunächst etwas Hintergrund dazu: Soziale Interaktion in einer Gesellschaft wird im Allgemeinen hauptsächlich durch zwei verschiedenen Regelsysteme bestimmt:

  • Die sozialen Konventionen – das sind nicht kodifizierte Standards der sozialen Interaktion in einer Gesellschaft, hauptsächlich geprägt durch Tradition (wir tun Dinge in gewisser Form, weil bereits unsere Eltern und Großeltern dies so gehandhabt haben). Oft sind diese Konventionen im Detail recht spezifisch für die soziale Klasse, Subkultur oder sogar für die Familie.
  • Das lokale Rechtssystem.

Normalerweise erfordert es im täglichen Leben keinen besonders großen Aufwand, sich entsprechend dieser Regeln zu verhalten. Aber wie schon gesagt handelt es sich um lokale Regeln. Bei internationaler interkultureller Interaktion wird dies deutlich schwieriger. Im internationalen sozialen Umgang ist es sehr wahrscheinlich, dass man soziale Konventionen verletzt und man hängt in solchen Fällen von der Toleranz und Großzügigkeit Anderer ab. Aus diesem Grund ist die soziale Interaktion zwischen verschiedenen Kulturen von vorsichtigen und aufmerksamen Handlungen und Reaktionen geprägt, welche dem Ziel dienen, eine gemeinsame Basis in Bezug auf soziale Konventionen zu finden. Ein erheblicher Teil solcher Interaktion besteht auch im Umgang mit dem nicht Funktionieren der Interaktion – dem geregelten und respektvollen Rückzug von einem erfolglosen Versuch dazu.

Diese Mechanismen der Interaktion zwischen verschiedenen Kulturen haben sich über Jahrtausende hinweg entwickelt. Die Reise-Literatur der Welt ist voll von Geschichten und Anekdoten, welche von positiven Beispielen für Interaktionen und Austausch auf Augenhöhe erzählen wie auch von negativen Beispielen mit manchmal katastrophalen Folgen von Gewalt oder von Fällen wo Arroganz und Beschränktheit zwar zu einer friedlichen aber völlig einseitigen Interaktion führen. Wer Leute mit viel Erfahrung in interkultureller Interaktion auf Augenhöhe kennt, wird oft feststellen, dass sich Habitus und Körpersprache solcher Leute oft merklich ändern, wenn sie eine Person mit einem deutlich anderen kulturellen Hintergrund treffen. In Kulturen, wo die ausgeglichene und friedliche Interaktion mit anderen Kulturen (wie zum Beispiel durch Reisen und Handel) an der Tagesordnung sind, haben solche Mechanismen teils auch einen festen Platz in der Kultur gefunden in Form bestimmter Prozeduren und Rituale.

Wie mir scheint hängt es sehr von vergangenen Erfahrungen ab, wie gut Leute mit Menschen klar kommen, die sich von ihnen in den sozialen Konventionen deutlich unterscheiden. Zum Beispiel denke ich, dass Leute die auf dem Land aufgewachsen sind, manchmal besser dazu in der Lage sind, da sie früh in ihrem Leben die deutlich anderen und kontrastierenden sozialen Konventionen des Lebens in Städten kennen gelernt haben, während Leute, die in Städten aufgewachsen sind – obwohl sie in der Stadt routinemäßig mit einer größeren Bandbreite von sozialen Konventionen konfrontiert sind (wenngleich meist durch die Anonymität des Lebens in der Stadt), oft nicht einen vergleichbar deutlichen Kontrast kennen lernen, bevor sie erwachsen sind.

Und obwohl wir heute in gewisser Hinsicht durch internationale Echtzeit-Kommunikation und relativ kostengünstige Reise-Möglichkeiten häufigeren interkulturellen Austausch pflegen als jemals in der Geschichte, ist dieser meist hochgradig asymmetrisch und wirklich gleichberechtigter Austausch auf Augenhöhe über kulturelle Grenzen hinweg ist vermutlich relativ gesehen mittlerweile extrem selten geworden.

Die Verhaltenskodizes von Unternehmen

Verhaltenskodizes sind erfunden worden als zusätzliche Regeln der sozialen Interaktion in Unternehmen zur Regulierung der Interaktion zwschen Unternehmen und Mitarbeiter sowie zwischen den Mitarbeitern. Sie werden erstellt von der Unternehmens-Leitung und die Mitarbeiter verpflichten sich vertraglich dazu, sie zu befolgen.

Gründe dafür sind insbesondere

  • die manchmal bestehenden Unsicherheiten und Unklarheiten bei den nicht kodifizierten sozialen Konventionen zu vermeiden.
  • die sozialen Konventionen der normalen Mitarbeiter, welche eventuell einen deutlich anderen sozialen oder kulturellen Hintergrund haben, an die der Unternehmensleitung anzupassen.
  • die Freiheiten, die die sozialen Konventionen und das lokale Rechtssystem bieten, einzuschränken, wo sie als ungünstig für die Produktivität angesehen werden.
  • Konflikte zu vermeiden, welche aus unterschiedlichen Rechtssystemen und unterschiedlichen sozialen Konventionen unter den Mitarbeitern resultieren könnten, indem man ein einheitliches Regelwerk darüber setzt. Dies ist insbesondere wichtig bei internationalen Unternehmen.

Praktisch ist die Absicht eines Verhaltenskodex in einem Unternehmen meist, dass dieser über den sozialen Konventionen und lokalen Gesetzen steht. Er kann natürlich meist nicht den lokalen Gesetzen widersprechen (auch wenn es durchaus relativ oft Fälle gibt, wo interne Regeln von Unternehmen in Konflikt mit dem Gesetz stehen), aber da die Regeln des Verhaltenskodex meist restriktiver sind, als die allgemeinen Gesetze, bilden diese Regeln in der Praxis meist die Grenzen des akzeptierten Verhaltens.

Wenn wir nun überlegen, einen solchen Verhaltenskodex für ein internationales OpenStreetMap-Treffen zu erstellen – wie zum Beispiel für die SOTM-Konferenz – dann gibt es auf Grundlage dessen, was ich bis jetzt erklärt habe, zwei potentielle Ziele:

  • Leuten bei dem Anfangs beschriebenen Ansatz (also durch vorsichtige und aufmerksame Interaktion zu versuchen, eine gemeinsame Grundlage in Hinsicht auf soziale Konventionen zu finden) zu helfen und sie zu unterstützen.
  • Das Treffen als Unternehmens-Veranstaltung unter einem Unternehmens-Verhaltenskodex zu veranstalten.

Der derzeitige Verhaltenskodex der SOTM tut allerdings weder das Eine noch das Andere. Er bietet keine nennenswerte Handreichung zur offenen interkulturellen sozialen Interaktion und ihm fehlen gleichzeitig die Klarheit der Regeln und die Ziel-Orientierung eines Unternehmens-Verhaltenskodex. Stattdessen ähnelt er eher dem, was ich einen politischen Verhaltenskodex nennen würde.

Der politische Verhaltenskodex

Der politische Verhaltenskodex ist das Ergebnis des Versuches, die Idee des Unternehmens-Verhaltenskodex für Bewegungen und Organisationen der sozialen Reform und sozialen Gerechtigkeit und deren Ziele und Vorstellungen anzupassen. Die Idee ist es – im Grunde genau wie beim Unternehmens-Verhaltenskodex – die existierenden sozialen Konventionen und Gesetze (weil man sie für ungerecht hält) durch neue Regeln zu ersetzen, welche hier nicht dazu dienen die Produktivität zu optimieren, sondern um bestimmte politische Ziele durchzusetzen.

Die politischen Ziele sind beim SOTM-CoC nicht so offensichtlich, da er von den Formulierungen gegenüber seiner Vorlage erheblich entschärft wurde.

Ich möchte hier jetzt nicht die politischen Ideen im Hintergrund bewerten, aber egal was man von diesen hält sollte klar sein, dass die formulierten Regeln hier in erster Linie das Ziel haben, politische Ideen zu implementieren (genau wie bei einem Unternehmens-Verhaltenskodex das Ziel der Produktivität-Steigerung im Vordergrund steht). Die meisten politischen Verhaltenskodizes werden in einer kulturell recht homogenen Umgebung entwickelt (oft Organisationen von Leuten mit gemeinsamen sozialem Hintergrund und gemeinsamen politischen Zielen). Obwohl es gelegentlich Übersetzungen von solchen Dokumenten in andere Sprachen gibt, habe ich noch nie einen Verhaltenskodex gesehen, welcher gemeinsam in verschiedenen Sprachen entwickelt wurde.

All dies ist recht problematisch dadurch, dass es Leuten nicht erlaubt ist, jeweils frei und individuell eine gemeinsame Basis der sozialen Interaktion zu finden, sondern man ihnen von oben bestimmte soziale Konventionen aufdrückt. Egal was im Einzelfall genau die Motive hinter den Regeln sind, ist es immer so, dass der globalen und kulturell vielfältigen Gemeinschaft ein bestimmter kultureller Hintergrund in einem Akt kultureller Dominanz aufgestülpt wird.

Was bleibt ist zu diskutieren, wie ein Verhaltenskodex aussehen könnte, welcher die Menschen unterstützt und ihnen hilft, in der traditionellen Form an einer interkulturelle soziale Interaktion auf Augenhöhe zu arbeiten und daran teilzunehmen – ohne ein aufgedrücktes kulturell voreingenommenes Regelwerk.

Ein kulturell neutraler Verhaltenskodex

Hier ein Versuch dazu. Da dies in einer bestimmten Sprache formuliert ist, kann man natürlich argumentieren, dass das nicht neutral sein kann, aber ich habe versucht dies so zu gestalten, dass das Ganze so wenig wie möglich von spezifischen Interpretationen von Sprache abhängt und von der Bedeutung bestimmter Worte, sondern auf allgemeinen und universellen Gedanken und Ideen basiert, welche nur in einer bestimmten Sprache kommuniziert werden.

Manche denken vermutliche, dass man dies nicht einen Verhaltenskodex nennen sollte, da es sich so stark von all denjenigen Dokumenten unterscheidet, die anderswo so genannt werden. Ich möchte hier ein Zitat aus dem CoC des Chaos Communication Congress wiedergeben, welches auch die Idee hinter meinem Entwurf recht gut beschreibt:

This is not a CoC in the anglo-american sense of the word. It appeals to morality rather than trying to instill it.

Die Veranstaltung an der Sie teilnehmen wird von einer großen Zahl sehr unterschiedlicher Menschen mit sehr verschiedenen kulturellen und sozialen Hintergründen besucht. Dies zu erfahren und eine solche Vielfalt von Leuten kennen zu lernen kann eine sehr lehrreiche und erfüllende Erfahrung sein, erfordert von den Teilnehmern aber auch Toleranz, Neugierde und Aufgeschlossenheit. Wenn Sie in der Lage und bereit sind, dies mitzubringen, sind Sie als Teilnehmer der Veranstaltung sehr willkommen. Dieses Dokument soll Ihnen dabei helfen dazu beizutragen, dass die Veranstaltung eine positive Erfahrung für alle Teilnehmer wird.

Als Gästen und Besuchern der Veranstaltung wird von Ihnen erwartet, such an die lokalen Gesetze zu halten. Wir möchten Ihnen auch nahe legen, sich mit den lokalen Gepflogenheiten und sozialen Konventionen vor und während des Besuches vertraut zu machen. Dies wird Ihnen sowohl während als auch außerhalb der Veranstaltung helfen.

Wenn Sie mit anderen auf der Veranstaltung interagieren müssen Sie erwarten und akzeptieren, dass andere Gäste und Besucher Ansichten, Ideen und Erwartungen haben, die sich stark von denen unterscheiden, die Sie gewohnt sind. Von Ihnen wird erwartet, aufgeschlossen und tolerant gegenüber solchen Unterschieden zu sein. Wir ermutigen Sie, auf Andere zuzugehen und mit ihnen zu kommunizieren und zu interagieren. Wenn Sie dies tun sollten sie aber sensibel gegenüber ihnen und in Bezug auf die Möglichkeit sein, dass Ihr Verhalten für sie unangenehm ist.

Wir erwarten, dass Sie Andere auf der Veranstaltung immer mit mindestens dem selben Ausmaß von Respekt, Toleranz und Großzügigkeit behandeln, welches Sie von anderen Erwarten und wovon Sie abhängen, dass diese es Ihnen entgegen bringen. Um dies zu erreichen sollten Sie immer das Ziel einer freundlichen und aufgeschlossenen Interaktion und die Annehmlichkeit der Interaktion für Andere über Ihre konkreten Ziele in der Interaktion stellen – wie zum Beispiel ein Argument in einer Diskussion, an der sie teilnehmen. Als Teilnehmer an der Veranstaltung müssen Sie bereit sein, Ihr Verhalten im Interesse Anderer anzupassen und gleichzeitig sollten Sie so weit wie möglich vermeiden, von Anderen zu fordern, ihr Verhalten an Sie anzupassen.

Die beschriebenen Regeln und Vorschläge sollten Missverständnisse und Konflikte vermeiden und dabei helfen, kleinere Konflikte in den meisten Fällen einvernehmlich zu lösen. Im Fall schwierigerer Konflikte bei der Interaktion mit Anderen möchten wir Sie ermutigen, andere Teilnehmer hinzuzuziehen um im Konflikt zu vermitteln. Wenn Sie von Anderen zu einem Konflikt angesprochen werden, sollten Sie versuchen den Beteiligten dabei zu helfen, eine gemeinsame Basis zu finden, ohne in dem Konflikt selbst aktiv einzugreifen. Falls Sie dazu nicht in der Lage sind sowie in allen ersteren Konflikten sollten Sie die Organisatoren der Veranstaltung kontaktieren. Unserer Ziel in solchen Situationen wird immer sein den Konfliktparteien zu helfen und ihnen falls nötig konkrete Anweisungen zu geben, welchen Folge zu leisten ist. Solche Interventionen werden immer so weit es geht versuchen neutral zu bleiben und keine Seite im Konflikt zu ergreifen.

Falls Sie ein Befürworter von Verhaltenskodizes in Unternehmen oder zu politischen Zielen sind, wird ihnen dieses Konzept wahrscheinlich nicht gefallen, denn es verfolgt einen deutlich anderen Ansatz für das Problem der interkulturellen sozialen Interaktion. Meiner Ansicht nach ist dies jedoch der einzige Weg, dies unvoreingenommen zu tun und es allen Mitgliedern einer globalen und kulturell vielfältigen Gemeinschaft zu erlauben, sich gleichberechtigt und ohne systematische Diskriminierung über kulturelle Grenzen hinweg auszutauschen. Man kann natürlich noch weiter gehen und sagen, dass man so ein Dokument eigentlich gar nicht braucht oder man es noch kürzer fassen könnte.

Das häufigste Argument der Verfechter politischer Verhaltenskodizes ist, dass die Regeln dazu da sind, die Schwachen vor den Starken und die Marginalisierten vor den Dominierenden zu beschützen und dass sie deshalb gerechtfertigt sind. Aber das bedeutet ja für sich schon, dass man bestimmte soziale Konventionen, welche dazu führen, dass man bestimmte Leute als schwach und stark oder marginalisiert und dominant einordnet, über andere stellt und ist dadurch kulturell tendenziös. Die Sprache und die Worte in den Verhaltenskodizes, welche die Grenzen des akzeptablen Verhaltens definieren, implizieren bereits die Dominanz bestimmter sozialer Konventionen – was der Grund ist weshalb mein Entwurf sich weitgehend auf Ratschläge und die Darlegung grundlegender ethischer Prinzipien beschränkt, um Leuten bei der sozialen Interaktion zu helfen (die also unterstützend und nicht normativ sind), anstatt spezifische Regeln aufzustellen, welche Vertrautheit mit der verwendeten Sprache und den darunterliegenden sozialen Konventionen erfordern, um sie zu befolgen.

Was man auch klar sehen sollte ist, dass natürlich dem lokalen Rechtssystem eine spezielle Rolle zu Teil wird. Das ist im Grunde nicht anders als wenn man keinen oder eine andere Form von Verhaltenskodex hat. Deshalb kommt der Frage wo man ein internationales Treffen abhält insbesondere in Bezug auf das lokale Rechtssystem eine erhebliche Bedeutung zu.

Wie ist es bei virtuellen Veranstaltungen?

Wie also steht es mit Verhaltenskodizes für digitale Kommunikations-Kanäle und Plattformen? Bei einem wirklich globalen internationalen Kanal gilt im Grunde das Selbe. Die meisten digitalen Kommunikations-Kanäle sind jedoch zumindest sprach-spezifisch und bei OpenStreetMap darüber hinaus meist auch spezifisch für das Land oder die Region. In solchen Fällen kann man schon darüber nachdenken, die grundlegenden gemeinsamen sozialen Konventionen zu dokumentieren. Man muss sich dann aber halt klar machen, dass man nicht mehr behaupten kann, dass der Kommunikations-Kanal oder die Plattform offen für alle Kulturen ist und die gesamte globale OSM-Gemeinschaft repräsentiert.

TLDR: Vorsicht und Aufmerksamkeit gepaart mit Respekt und Toleranz für die andere Seite, geleitet durch grundlegende und universelle moralische Prinzipien und die Bereitschaft, Unterschiede in sozialen Konventionen zu akzeptieren auch wenn sie unbequem sind – ein Ansatz nach dem unzählige Generationen vor uns über tausende von Jahren bereits gleichberechtigte und friedliche interkulturelle soziale Interaktion praktiziert haben – ist nicht der beste Weg dies zu tun, es ist jedoch der einzige.

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