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Über falsche Farben

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Zu verschiedenen Anlässen habe ich bereits über das Problem korrekter Farben in Satellitenbildern geschrieben. Was jedoch für den verbreiteten Eindruck verantwortlich ist, dass Satellitenbilder ein kompliziertes und schwieriges Thema sind ist, sind nicht diese subtilen Details hinsichtlich Farbtreue und Farbwahrnehmung. Dieser Eindruck liegt meist eher daran, dass was als Satellitenbilder verkauft wird oft keine Fotos im engeren Sinne sind, sondern ganz allgemein Visualisierungen und künstlerische Darstellungen (so man es denn Kunst nennen möchte) auf Grundlage von Satellitendaten. Solche Darstellungen werden leider verbreitet ganz undifferenziert als Satellitenbilder bezeichnet – ohne Erklärung und ohne Abgrenzung, wo der Bereich der Fotos endet und und abstrakte Visualisierungen beginnen.

Man kann das gut mit einer Zeitung vergleichen, dort findet man Fotos, gelegentlich auch Zeichnungen realer Situationen wie aus Gerichtsverhandlungen, wo keine Kameras zugelassen sind. Und natürlich gibt es in Zeitungen auch Diagramme, Karikaturen und andere Grafiken, welche nicht reale Eindrücke wiedergeben sollen. Die Trennung zwischen diesen verschiedenen Bildformen ist in vielerlei Hinsicht eine zentrale Basis für das Selbstverständnis des Journalismus.

Ironischerweise sind die Wissenschaftsvermarktung und der Wissenschaftsjournalismus mit die Felder, wo diese Differenzierung am stärksten verwischt wird, insbesondere was Satellitenbilder betrifft.

Es ist schwierig hier belastbare Abschätzungen zu machen aber ich würde sagen, dass mindestens die Hälfte von dem, was einem in Zeitungen, im Fernsehen, auf Webseiten und in ähnlichen Zusammenhängen als Satellitenbilder unterkommt keine Bilder oder Fotos im engeren Sinne sind, also keine Ergebnisse eines abbildenden Messverfahrens mit zumindest einem rudimentärem Anspruch von Wiedergabetreue.

Etwa wiederum die Hälfte dieser nicht-abbildenden Satellitenbilder sind komplett abstrakte Darstellungen, gewöhnlich auf Grundlage eines räumlichen 2d-Datensatzes produziert und in einer Kartenprojektion dargestellt, welche es erlaubt, geographische Formen wiederzuerkennen. Hierin eingeschlossen sind zum Beispiel schattierte Reliefdarstellungen (ja, so was wird wirklich manchmal als Satellitenbild verkauft), Radar-Daten-Visualisierungen (welche meist auf Laufzeit- oder Phaseninformationen basieren und die im Grunde keine 2D-Abbildungen sind) und ähnlichem.

Die andere Hälfte ist das, was man gewöhnlich Falschfarben-Bilder nennt und diese möchte ich hier etwas näher behandeln.

Falsche Farben

Falschfarben-Bilder sind als Konzept deutlich älter als digitale Fotos. Sie haben ihren Ursprung in der klassischen chemischen Fotografie, genauer im Farb-Infrarot-Film, welcher in verschiedenen Teilen des sichtbaren und infraroten Spektrums lichtempfindlich ist, jedoch für das sichtbare Licht entwickelt wird. Dieses Konzept wurde dann später auf digitale Fotos übertragen.

Um die Idee hinter Falschfarben-Bildern zu verdeutlichen hier zunächst zum Vergleich ein Landsat-Bild in normalen Farben des sichtbaren Lichtes:

Dieses Bild zeigt Teile des westlichen Kaukasus-Gebirges mit einer recht großen Vielfalt von Oberflächenformen. Es ergibt sich ein guter Kontrast zwischen manchen Oberflächentypen, zum Beispiel zwischen Fels/Schnee und Vegetation und sogar Wald und Grasland sowie landwirtschaftliche Flächen lassen sich gut unterscheiden. Auf der anderen Seite ist der Kontrast zwischen Vegetation und Wasser recht schwach.

Die Spektralbänder des Satelliten im sichtbarem Bereich werden hier direkt auf die Kanäle rot, grün und blau der Bilddatei und letztendlich des darstellenden Gerätes abgebildet. Egal wie gut die Empfindlichkeiten des Sensors mit der Definition des Farbraums des Darstellungsgerätes oder der Empfindlichkeit des menschlichen Auges übereinstimmen – man nennt diese Darstellung im Allgemeinen Echtfarbenbild oder natürliche Farben. Das bedeutet natürlich nicht notwendigerweise, dass der Farbeindruck realistisch ist.

Zusätzlich zu den blauen, grünen und roten Farben zeichnen Satelliten jedoch üblicherweise auch eine Reihe anderer Bereiche des elektromagnetischen Spektrums auf, die meisten davon im infraroten (also bei größeren Wellenlängen als im sichtbaren Bereich):

Genau wie bei Farb-Infrarot-Filmen kann man diese Spektralbänder auf Farben im sichtbaren Bereich abbilden, um diese Messungen zu visualisieren. Eine traditionelle Zuordnung ist dabei

NIR → rot
rot → grün
grün → blau

Dies kommt vielen älteren Erdbeobachtungs-Satelliten entgegen, welche oft einen grünen, roten und nahen Infrarotkanal haben. Daneben ähnelt diese Zuordnung der Charakteristik von Farb-Infrarot-Filmen. Wasserflächen weisen hier einen deutlich stärkeren Kontrast zur Vegetation auf:

Wichtig ist zu verstehen, dass so eine Zuordnung absolut keinen physikalischen Hintergrund hat und letztendlich vollkommen willkürlich ist – man kann die Daten in beliebiger Kombination den sichtbaren Farbkanälen zuordnen, wie ich zum Beispiel in Zusammenhang mit dem ASTER-Instrument gezeigt habe wird manchmal eine grüne Darstellung der Vegetation bevorzugt und hierfür kann man die selben Daten auch anders zuordnen:

Und man muss natürlich nicht unbedingt eine eins-zu-eins-Zuordnung der Spektralkanäle auf die rote, grüne und blaue Komponente der Darstellung wählen – beliebige lineare und auch nichtlineare Abbildungen sind möglich. Hier zum Beispiel eine Transformation, welche die Helligkeit auf Basis der sichtbaren Kanäle definiert, den Farbton jedoch mit Hilfe der Infrarot-Daten einstellt:

Damit Falschfarben-Bilder einen praktischen Nutzen haben und nicht nur abstrakte Kunstwerke sind braucht man Konventionen zu deren Definition und man muss lernen, sie zu lesen. Dies ist ein riesiges Problem, denn die Definitionen sind oft recht vage und die Schwierigkeit das Lesen solcher Bilder zu lernen wird verbreitet ignoriert oder unterschätzt. Ein Falschfarben-Satellitenbild zu zeigen ist ein bisschen so wie in einer deutschsprachigen Zeitung einen chinesischen Artikel zu drucken – der wichtigste Unterschied ist, dass beim Text der Leser klar erkennt, dass er nicht verständlich ist während man beim Falschfarben-Bild leicht die Illusion des Verstehens bekommt. Aber im Grunde ist die Situation sogar noch schlimmer, denn selbst mit viel Erfahrung und Übung beim Lesen bestimmter Falschfarben-Bilder besteht ein hohes Risiko von Fehlinterpretationen und von irrtümlichen Einordnungen von darin sichtbaren Strukturen aufgrund optischer Illusionen und falscher Wahrnehmungen. Da Übung und Erfahrung beim Lesen von Falschfarben-Satellitenbildern immer vollständig auf der Betrachtung von Satellitenbildern basiert, fehlt der Bezug zur konkret und aus der Nähe wahrnehmbaren Realität, wie wir ihn bei Echtfarben-Darstellungen haben und man erreicht deshalb nie das Niveau von Zuverlässigkeit und Robustheit wie beim Lesen von Echtfarben-Bildern.

Wenn also Falschfarben-Bilder so schwerwiegende Nachteile haben, weshalb verwenden Leute sie trotzdem? Das hat eine Reihe von Gründen:

  • Es gibt eine Menge Informationen in den infrarot-Daten, welche im sichtbaren Bereich nicht vorhanden sind.
  • Den kompletten Darstellungraum einer Farbdarstellung sowie der menschlichen Farbwahrnehmung zu nutzen ist bei der Wiedergabe komplexer multispektraler Daten recht nützlich.
  • Das menschliche Gehirn kann das Erkennen von Ähnlichkeiten und Mustern in Farbbildern erlernen, selbst wenn diese künstliche Farben wiedergeben.

Hier nun – für das bereits zuvor gezeigte Gebiet – die heute meist verbreitete Falschfarben-Darstellung von multispektralen Satellitenbildern. Sie basiert auf der Zuordnung

SWIR → rot
NIR → grün
rot → blau

Diese Kanal-Kombination ist deshalb so beliebt, weil sie eine Menge Informationen in ein einziges Farbbild komprimiert. Da der blaue und grüne Spektralkanal nicht darin eingehen, gibt es nur einen recht geringen Einfluss der Atmosphäre, man kann selbst bei Schleier-Bewölkung recht gut durch die Wolken hindurch schauen. Zur grundlegenden Orientierung hier die wichtigsten Eigenschaften dieser Darstellung:

  • Vegetation erscheint im Allgemeinen grün – verschiedenen Grüntöne deuten auf unterschiedliche Vegetationsdichte und verschiedenen Stadien im Wachstumszyklus hin, verschiedene Arten von Bewuchs sind jedoch oft nicht gut zu unterscheiden.
  • Wasser erscheint im Allgemeinen dunkelblau, trockener Schnee und Eis hellblau bis türkis und nasser Schnee dunkler.
  • Unbedeckter Boden erscheint in verschiedenen Braun-, rot- und grau-Tönen. Unterschiede in der Geologie sind oft besser differenziert als im sichtbaren Licht, zum Beispiel erscheinen im gezeigten Ausschnitt die Kalkstein-Gebirge südlich des Hauptkamms deutlich heller als die kristallinen/metamorphen Gesteine weiter im Norden. Man muss jedoch aufpassen, denn die Feuchtigkeit des Bodens hat hier auch einen großen Einfluss.
  • Wolken sind meist weitgehend farblos hellgrau bis weiß, können jedoch manchmal auch bläulich oder rötlich erscheinen.

Diese Falschfarben-Darstellung wird mit den Daten vieler verschiedener Satelliten verwendet, allerdings unterscheiden sich die Ergebnisse oft erheblich, denn die Definition der NIR- und SWIR-Kanäle ist deutlich variabler als bei den sichtbaren Spektralbändern, die sich verständlicherweise meist an der menschlichen Wahrnehmung orientieren. Hier ein Diagramm, welches die Kanäle aktueller Erdbeobachtungs-Satelliten zeigt – eine Erweiterung der von mir für den sichtbaren Bereich früher gezeigten Darstellung.

Es gibt natürlich noch eine Menge weiterer Falschfarben-Zuordnungen – viele davon sind Varianten der zuvor gezeigten Zuordnung SWIR-NIR-sichtbar, wobei entweder das SWIR gegen das zweite SWIR-Band oder der sichtbare Kanal ausgetauscht werden. Alle diese Kombinationen sehen auf den ersten Blick recht ähnlich aus, weisen jedoch im Detail durchaus Unterschiede auf. Es gibt daneben auch einige völlig andere Kanal-Zuordnungen, die man gelegentlich auch sieht, zum Beispiel die reine Infrarot-Darstellung SWIR2-SWIR1-NIR und eine Kombination blau-SWIR1-SWIR2:

 

All dies bezieht nur die gängigsten Spektralkanäle mit ein – letztendlich sind die Möglichkeiten endlos und es ist leicht, dies in eine Art Geheimcode zu verwandeln, so dass Bilder nur noch von ein paar eingeweihten Experten zu verstehen sind. Solche Übungen sind jedoch von sehr fragwürdigem Nutzen – und ich hoffe, dass ich klar machen konnte, dass selbst die Interpretation der gängigsten Falschfarben-Kombinationen mit enormen Schwierigkeiten verbunden ist. Wer meint, gewisse Dinge zuverlässig in Falschfarben-Bildern erkennen zu können sollte dies im Allgemeinen besser in quantitativer Form auf Grundlage der Datenwerte formulieren. Dies hat auch den Vorteil, dass man mehr als die drei Variablen einbeziehen kann, die sich unabhängig in einem Farbbild darstellen lassen.

Empfehlungen

Zur Zusammenfassung ein paar Empfehlungen

  • Verwenden Sie keine Falschfarben-Satellitenbilder in Veröffentlichungen und zu Marketing-Zwecken.
  • Bei der öffentlichen Verwendung von Falschfarben-Bildern sollte man immer auch ein Echtfarben-Bild als Referenz zeigen und eine deuliche Warnung mitgeben, dass das Bild künstliche Farben verwendet.
  • Als Alternative sollte man Einzelkanal-Bilder oder Einzelwert-Berechnungen wie Kanal-Verhältnisse oder Differenz-Indices in Betracht ziehen, möglicherweise unter Verwendung eines geeigenten Farbverlaufes (keine Regenbogen-Farben!).
  • Bei der Interpretation von Falschfarben-Bildern sollten Sie sich der Gefahr der Fehlinterpretation bewusst sein und falls möglich überprüfen, ob die Interpretation mit dem Erscheinungsbild in Echtfarben-Darstellung zusammenpasst.
  • Man sollte sich immer klar machen, dass es erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Satelliten bei formell equivalenten Falschfarben-Kombinationen gibt.

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