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Über Kommunikationskanäle für Gruppen

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Was ich hier ein bisschen diskutieren möchte sind die verschiedenen Kanäle und Plattformen der Kommunikation in Gruppen (d.h. Kommunikation zwischen mehr als zwei Leuten) im Kontext von sozialen Projekten wie OpenStreetMap. Seit vielen Jahren tauchen auf OSM-Kommunikationskanälen immer mal wieder Leute auf, die ihre Unzufriedenheit entweder über den spezifischen Kommunikationskanal oder mit der Kommunikation in der OSM-Community im Allgemeinen ausdrücken – oft in Verbindung mit dem Vorschlag, dass doch bitte alle wechseln mögen zu [man ergänze hier seine bevorzugte momentan gerade gehypte Plattform]. Ich möchte hier meine persönlichen Kriterien dafür erläutern, was in meinen Augen einen Kommunikationskanal oder eine Plattform für eine produktive, konstruktive und inklusive Gruppen-Kommunikation im Kontext eines globalen, multikulturellen sozialen Projektes wie OpenStreetMap qualifiziert.

Ein paar Vorbemerkungen: Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass es in dieser Analyse nur um Gruppen-Kommunikation im Sinne von Symmetrischer Kommunikation zwischen mehr als zwei Personen auf Augenhöhe geht. Für eins-zu-eins-Kommunikation oder Asymmetrische Kommunikation (Eine-zu-Vielen ohne symmetrischen Rück-Kanal) gelten andere Kriterien. Zum zweiten: eine vielfältige globale Gemeinschaft wie OpenStreetMap braucht vielfältige Kommunikationskanäle. Alle Kommunikation auf wenigen Kanälen und Plattformen zu konzentrieren wäre für sich genommen schon ein Problem. OpenStreetMap kann nur dann nachhaltig funktionieren, wenn es nicht von einem zentralen Kommunikationskanal abhängt, den alle nutzen, Die Kernidee von OpenStreetMap ist es schließlich, dass die gemeinsam bearbeitete Datenbank das Element ist, welches das Projekt sozial zusammenhält und dies durch andere Mittel zu ersetzen würde das Projekt fundamental schwächen.

Die Kriterien

  1. Asynchrone Kommunikation: In einer globalen, mehrsprachigen Gemeinschaft wie OSM gibt es unvermeidbar große Unterschiede darin, wie flüssig Leute in der jeweiligen Sprache eines Kommunikationskanals kommunizieren können. Asynchrone Kommunikation (das ist Kommunikation, bei der es keine Erwartung, keine technische Notwendigkeit und keinen sozialen Druck gibt hinsichtlich der unmittelbaren zeitlichen Nähe zwischen einer Nachricht und einer Antwort darauf) kann enorm helfen, in dieser Hinsicht faire Bedingungen zu schaffen. Ganz zu schweigen von unterschiedlichen Zeitzonen. Asynchrone Kommunikation hilft auch Leuten mit nur sporadischem Internet-Zugang.
  2. Textbasierte Kommunikation: Aus ähnlichen Gründen ist textbasierte Kommunikation gegenüber Audio- und Video-Kommunikation von Vorteil. Gruppen-Kommunikation auf Audio- und Video-Basis ist natürlich auch fast immer synchron. Zusätzlich reduziert textbasierte Kommunikation den Bandbreitenbedarf für die Teilnehmer, erleichtert massiv jegliche Art der Filterung und insbesondere senkt sie die Hürde für die Teilnahme an der Kommunikation, denn sie gibt Teilnehmern eine bessere Kontrolle darüber, was sie in der Kommunikation von sich preisgeben und über die Offenlegung privater Informationen.
  3. Strukturierte Kommunikation: Ein ziemlich essentieller Aspekt der Kommunikation in Gruppen mit einer größeren Anzahl von Teilnehmern ist die Transparenz darüber, wer in der Kommunikation auf wen antwortet. Der klassische Weg, das zu visualisieren, ist in einer Baumstruktur. Meinungen dazu gehen stark auseinander – einige verachten die verzweigte Darstellung von Kommunikation während andere der Meinung sind, dass dies notwendig ist für eine funktionierende Kommunikation in größeren Gruppen. Dies hat viel damit zu tun, wie Leute in der digitalen Kommunikation sozialisiert wurden. Diejenigen, die beim Einstieg in die digitale Kommunikation nicht mit dem Konzept der verzweigten Kommunikations-Darstellung konfrontiert wurden, entwickeln oft eine Abneigung dagegen. Und mit der weiten Verbreitung von Werkzeugen und Plattformen zur email-Kommunikation (Microsoft, Google), welche standardmäßig die Verzweigung in der Kommunikation nicht sichtbar machen, im letzten Jahrzehnt und darüber hinaus betrifft dies eine recht große Anzahl von Leuten. Es ist jedoch recht eindeutig, dass wenn eine große Anzahl von Leuten sich aktiv auf einem Kommunikationskanal beteiligen, ohne dass die Kommunikation in Zweige strukturiert wird, sich die Kommunikation mehr und mehr in eine synchrone Kommunikation wandelt, da asynchrone Antworten auf ältere Kommunikation von den sehr aktiven Teilnehmern als störend wahrgenommen wird. Und eine solche Entwicklung bringt dann die Probleme mit sich, die ich oben im Zusammenhang mit asynchroner Kommunikation erwähnt habe.
  4. Verfügbarkeit eines verlinkbaren, unveränderlichen und dauerhaften öffentlichen Archivs der Kommunikation: Dies ist einer der wichtigsten Punkte. Damit Gruppen-Kommunikation praktisch für eine größere Gemeinschaft Bedeutung entfaltet, ist es absolut essentiell, dass man auf vergangene Kommunikation in einer für Alle nachvollziehbaren Art und Weise Bezug nehmen kann und dass man Erinnerungs-Unterschiede zum genauen Inhalt vergangener Kommunikation transparent auflösen kann. Dies geht am einfachsten durch ein vollständiges, verlässliches, nicht manipulierbares, durchsuchbares und verlinkbares Archiv der gesamten historischen Kommunikation auf dem jeweiligen Kanal.
  5. Offene Plattformen und Kommunikations-Protokolle: Für eine langfristige Verfügbarkeit und um die Abhängigkeit von Anbietern proprietärer Technologien zu vermeiden. Dies bedeutet insbesondere, dass die technischen Schnittstellen, über welche die Kommunikation stattfindet, dokumentiert sind und diese sowohl rechtlich als auch technisch offen dafür sind, von allen ohne Bindung an eine bestimmte Software genutzt zu werden.
  6. Praktische Vielfalt in Kommunikations-Werkzeugen und Schnittstellen: Verbunden mit dem vorherigen Punkt. Es ist von großem Vorteil, wenn nicht nur die Kommunikations-Protokolle im Prinzip offen sind, sondern auch praktisch verschiedene Programme und Schnittstellen existieren, aus denen der Nutzer nach eigenen Bedürfnissen und Wünschen auswählen kann. Außer für persönliche Vorlieben und Bequemlichkeit ist dies auch eine Frage der Zugänglichkeit, insbesondere auch für Menschen mit Behinderungen.
  7. Praktisch nutzbare Wege zur flexiblen und robusten Filterung der Kommunikation durch den einzelnen Nutzer: Dies steht eng in Verbindung mit den vorherigen zwei Punkten. Falls die Kommunikationsprotokolle offen sind und eine Auswahl an Programmen existieren, diese zu nutzen, besteht eines der wichtigsten Distintionsmerkmale solcher Programme meist in den Filter-Möglichkeiten für die Kommunikation. Dies ist auf zwei Ebene von Bedeutung. Zum einen erlaubt es den Kommunikationsteilnehmern, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die Ihnen wichtig sind und die für sie von Interesse sind, und nicht auf das was andere für wichtig erachten. Zum anderen hat dies auch einen enorm zivilisierenden Einfluss auf die Teilnehmer auf einem Kommunikationskanal. Wenn jeder weiß, dass alle anderen auf dem Kanal die Möglichkeit haben, sich zu entscheiden, die eigene Kommunikation zu ignorieren, neigen die meisten dazu, gewissenhafter abzuwägen, was sie schreiben und berücksichtigen dabei mehr, ob das was sie schreiben von anderen als wertvoll erachtet wird. Um es ganz platt auszudrücken: Man unterschätze niemals den befriedenden Einfluss eines Killfiles.
  8. Der Kanal ist offen für alle und man benötigt weder eine explizite Einladung noch existieren andere Hürden oder Abschreckungen zur Teilnahme. Wie zum Beispiel die Anforderung, Verhaltensregeln zustimmen zu müssen, die von anderen aufgestellt wurden als von denen, die den Kommunikationskanal selbst aktiv nutzen. Dies ist wiederum essentiell für eine Vielfalt in der Beteiligung an der Kommunikation. Für viele ist die psychologische Barriere, an einer offenen Gruppen-Kommunikation aktiv teilzunehmen, recht hoch Es ist deshalb wichtig, hier nicht noch zusätzliche Hürden aufzubauen. Natürlich nehmen sich am Ende fast alle, auch nicht kommerzielle Betreiber von Kommunikationsplattformen das Recht heraus, letztendlich den Zugang zu ihrer Infrastruktur zu kontrollieren, falls sie dies als notwendig erachten. Entscheidend ist, ob dies praktisch tatsächlich stattfindet, oder ob es lediglich eine prinzipielle Möglichkeit ist.
  9. Dezentralisierte Protokolle. Dies ist die ideale Lösung für den vorherigen Punkt, praktisch arbeiten jedoch nur sehr wenige Gruppen-Kommunikationskanäle vollständig dezentral. Historisch was Usenet das Musterbeispiel für dezentrale Gruppen-Kommunikation und seit dessen Niedergang hat es bis jetzt niemals mehr einen dezentralen Ansatz hierfür gegeben, der vergleichbare Bedeutung erreicht hat.

Und wie sehen die verschiedenen Kanäle im Vergleich aus?

Hier ist eine Abschätzung, wie die verschiedenen Kommunikationskanäle, welche in der OSM-Community verbreitet genutzt werden, sich in Bezug auf die diskutierten Kriterien schlagen. Ich habe Usenet/NNTP da einbezogen auch wenn dies weder in der OSM-Community noch außerhalb noch nennenswerte Bedeutung hat, da es von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung digitaler Gruppen-Kommunikationskultur im Internet ist. Und wie man sehen kann liegt dieses auch in Bezug auf meine Kriterien weit vorne. Die Gründe für den Abstieg von Usenet und NNTP sind eine andere Geschichte (eine sehr interessante natürlich – aber auch eine, wo schon viele Leute drüber geschrieben haben, deshalb werde ich das hier nicht vertiefen).

Die Informationen zu Facebook, Telegram und Whatsapp basieren auf Hörensagen und sind deshalb nicht sehr belastbar – ich habe diese Plattformen nie verwendet, so dass ich hier keine Erfahrungen aus erster Hand bieten kann.

Kommunikationskanäle und Plattformen in OpenStreetMap

Kommunikationskanäle und Plattformen in OpenStreetMap

Fußnoten zu der Tabelle:

  1. help.openstreetmap.org hat begrenzte Unterstützung für strukturierte Kommunikation
  2. Das OSM-Wiki erlaubt im Prinzip strukturierte Kommunikation auf den Diskussions-Seiten und es ist etablierte Praxis, Diskussionen entsprechend zu strukturieren. Allerdings ist dies komplett Handarbeit und funktioniert nur, wenn alle dies gewissenhaft tun. Es gibt keine eingebaute Unterstützung dafür.
  3. Im Usenet haben Server-Betrieber Nachrichten routinemäßig nach einiger Zeit gelöscht, so dass es im Grunde kein permanentes Archiv im System selbst gab. Allerdings konnte jeder Betreiber eines Usenet-Servers ein solches erzeugen und gegen Ende der Usenet-Ära hat Google praktisch als Referenz-Archiv fungiert.
  4. Im Forum ist sichtbar, wenn Beiträge nachträglich geändert wurden, allerdings existiert kein Archiv der Original-Inhalte vor der Änderung. Daneben können Administratoren im Forum auch Nachrichten vollständig löschen und tun dies praktisch auch (unterschiedlich oft, je nach Unterforum).
  5. Die Benutzer-Blogs (diaries) selbst können ohne sichtbare Editier-Historie nachträglich bearbeitet werden, die Kommentare darunter jedoch nicht.
  6. Im Wiki ist die Editier-Historie öffentlich sichtbar, was als unveränderliches Archiv fungiert (wenngleich dies manchmal schwierig als solches zu nutzen ist).
  7. Github hat ein recht raffiniertes System entwickelt, nachträgliche Änderungen der Kommunikation zu erlauben, diese jedoch transparent sichtbar zu machen. Github erlaubt es jedoch auch in manchen Fällen, Nachrichten komplett aus dem Archiv zu entfernen (wenngleich so weit ich weiß zumindest angezeigt wird, wo dies erfolgt ist).
  8. Obwohl es keine Alternativen Möglichkeiten gibt, Changeset-Kommentare zu schreiben, gibt es zum Lesen die beliebten Werkzeuge von Pascal Neis.
  9. Offenheit für die Teilnahme gibt es bei den meisten Mailinglisten und Foren mit OSM-Bezug. Es gibt ein paar Ausnahmen, insbesondere ist osmf-talk zum Schreiben nur für OSMF-Mitglieder offen. Es gibt thematische und regionale Listen und Foren mit Kulturspezifischen Regeln, die man akzeptieren muss, um sich aktiv zu beteiligen, welche jedoch meist durch Konsens der aktiven Teilnehmer auf dem Kanal festgelegt werden (wie diversity-talk, regionale Foren).

Schlussfolgerungen

Die Schlussfolgerung ist: Mailinglisten führen immer noch mit großem Abstand vor allem, was in der OSM-Community derzeit verbreitet verwendet wird. Aber natürlich sind die von mir angelegten Kriterien meine persönlichen Präferenzen und wenngleich ich dargelegt habe, weshalb ich diese für wichtig halte, gibt es andere, die das was ich als Vorteile betrachte für Nachteile halten. Und das ist auch in Ordnung – wie ich bereits Anfangs erläutert habe, ist Vielfalt in der Kommunikation essentiell für eine vielfältige globale Gemeinschaft wie OpenStreetMap. Es gibt manche in OpenStreetMap, welchen dies missfällt und die die OSM-Community kulturell homogenisieren möchten und dafür möglichst alle dazu drängen möchten, die selben Kommunikations-Plattformen zu verwenden. Das wird allerdings nicht funktionieren. Wenn es einen Bereich gibt, wo man absolut sicher sein kann, dass letztendlich die Menschen mit ihren Füßen abstimmen, dann sind das Gruppen-Kommunikationskanäle.

Ausblick

Interessant ist natürlich ein Blick darauf, wohin die Reise in der Zukunft weitergehen könnte. Wird es Plattformen und Kanäle geben, welche an traditionelle Techniken (NNTP und Mailiglisten) herankommen, welche aus meiner Analyse als Gewinner hervorgehen? Im Moment sehe ich in diese Richtung nichts konkretes. Der Schwerpunkt bei der Entwicklung von Gruppen-Kommunikations-Technologie scheint seit einer ganzen Reihe von Jahren bei synchroner Echtzeit-Kommunikation zu liegen. Wie ich jedoch versucht habe, zu erläutern, ist dies für hochgradig multikulturelle Anwendungsfälle wie in OpenStreetMap nur von geringer Bedeutung. Der Trend in asynchroner Kommunikation geht schon seit längerer Zeit in Richtung monolithischer Plattformen, wo der Klient und die Benutzer-Schnittstelle eng mit dem eigentlichen Kommunikationsprotokoll verwoben sind (oder anders gesagt: Kram, der um ein schickes Web-Interface herum entwickelt wurde, welches die Mode des Tages im Bereich UI-Design widerspiegelt). Dies ist schade, denn meist braucht es in einer hochgradig nicht homogenen Community wie OpenStreetMap viele Jahre, bis ein neuer Kommunikationskanal wirklich in der Breite akzeptiert wird. Und dann habe die meistem auf Tagesmoden aufbauenden Plattformen schon das Ende ihres kurzen Lebens erreicht und werden nicht mehr weiter entwickelt.

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