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Der Sentinel 2A Satellitenstart

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Heute früh hat die ESA mit viel Aufheben einen neuen Erdbeobachtungssatelliten gestartet. Grundsätzlich ist sowas immer eine gute Nachricht, die dabei in Marketing-Materialien und Pressemitteilungen zu findenden Übertreibungen wie Behauptungen, dass dies eine neue Ära in der Erdbeobachtung einläutet usw. scheinen mir jedoch unangebracht. Ich hoffe, dass der neue Satellit ein Erfolg wird, bin jedoch bei meiner Analyse hier deutlich zurückhaltender und kritischer als viele andere, die diese Tage über die Sentinel-Satelliten schreiben.

Die ESA betont vor allem auch die Offenheit der Daten im Copernicus-Programm obwohl sie in der Vergangenheit freundlich ausgedrückt nicht gerade ein Vorbild hinsichtlich Offenheit waren. Um das zu verstehen muss man wissen, dass die ESA ein gemeinsames Unterfangen vieler Europäischer Länder ist und ihre Leitungs- und Kontrollorgane vor allem politische und wirtschaftliche Ziele verfolgen und der generelle wissenschaftliche Fortschritt und Erkenntnisgewinn weltweit nur eine recht untergeordnete Rolle spielt. Man kann es auch anders ausdrücken: Die ESA ist vor allem ein bürokratischer Moloch und es ist keine schlechte Idee, der Behauptung, dass aus ihr etwas innovatives und revolutionäres erwächst erst einmal kritisch zu begegnen.

Es war recht interessant die ESA bei den ersten unsicheren Schritten hinsichtlich Verbreitung umfangreicherer Datenmengen zu beobachten. Im Vergleich zu den Methoden anderswo zum Beispiel beim USGS scheinen diese oft unnötig kompliziert. Man merkt, dass man dort an verschlossene, proprietäre Systeme gewöhnt ist und in der Nutzung etablierter offener Standards nicht sonderlich erfahren ist. Zum Beispiel scheint ihre Schnittstelle zur Datenabfrage grundsätzlich recht gut durchdacht zu sein, anstatt jedoch Datensätze über für den Benutzer transparente Identifikationen auf Basis von Datentyp, Ort, Erfassungszeitraum und Ähnlichem zu identifizieren greift man dort auf nicht-transparente UUIDs zurück.

Aber ich schweife vom Thema ab, also zurück zum neuen Satelliten. Dieser scheint geplant zu sein als Landsat on steroids. Er bietet einen ähnlichen Funktionsumfang – eine Reihe von optischen Kanälen in verschiedenen Bereichen des sichtbaren und infraroten Spektrums, einen sonnen-synchronen Orbit und eine Missionsausrichtung, welche die regelmäßige und weitgehend gleichmäßige Abdeckung der gesamten Erde vorsieht. Die wesentlichen Unterschiede sind:

  • Sentinel 2 deckt bei der Erfassung einen breiteren Streifen auf der Erdoberfläche ab, 290km im Vergleich zu 185km. Da die Bahnparameter ähnlich sind (Sentinel 2 bewegt sich etwas weiter oben) kann der Satellit somit in einem vorgegebenen Zeitraum einen größeren Teil der Erdoberfläche abdecken – oder anders ausgedrückt: Man erhält im Durchschnitt häufigere und aktuellere Daten. Kleiner Nachteil auf der anderen Seite ist, dass der breitere Streifen voraussichtlich an den Rändern durch den flacheren Blickwinkel anfälliger für Verdeckungen und Probleme bei der Ausrichtung der Bilder in Bereichen großer Reliefunterschiede ist.
  • Sentinel 2 bietet eine höhere nominelle Auflösung mit vier Spektralkanälen mit 10m und sechs weiteren mit 20m im Vergleich zu Landsat mit 30m und 15m nur in einem einzigen panchromatischen Kanal. Dies verspricht detailliertere Daten, insbesondere was feine Details in den Farben betrifft – vorausgesetzt natürlich die Daten entsprechen am Ende in den Details der nominellen Auflösung.
  • Sentinel 2 verfügt anders als Landsat nicht über einen Sensor im thermischen Infrarot, die Kanäle decken nur den Bereich vom sichtbarem Licht bis zum kurzwelligen Infrarot ab.
  • Der vorgestellte Erfassungsplan von Sentinel 2 ähnelt dem von Landsat, außer dass Sentinel 2 explizit die Antarktis auszuklammern scheint.

Interessant sind die Vergleiche zwischen Sentinel 2 und anderen Erdbeobachtungssatelliten wie sie die ESA zeigt. Sie basieren anscheinend auf frühen Planungsstadien des Projekts und beziehen keine neueren Satelliten mit ein. Ob das nur schlampiges copy&paste ist oder ein bewusster Versuch, das Projekt besser aussehen zu lassen kann ich nicht beurteilen – das Ergebnis ist jedoch, dass so manch ein wenig kompetenter Journalist dies zur Untermauerung der Geschichte von der revolutionär neuen Technologie verwendet, was am Ende recht amüsant aber auch irgendwie bedenklich ist. Nungut – der neue Satellit verspricht eine Reihe sehr interessanter Fähigkeiten und es ist sehr schön, wenn dies zu mehr Wettbewerb im Bereich offener Satellitendaten führt. In jedem Fall scheint dies jedoch eher ein gradueller Fortschritt als etwas vollkommen Neues zu sein.

Die ESA hat angekündigt, dass die Daten des Satelliten unter einer offenen Lizenz verfügbar gemacht werden. Diese Lizenz enthält eine generelle Verpflichtung zur Attributierung, man muss immer auf die Quelle verweisen, wenn man die Daten in irgendeiner Form verwendet. Sie enthält keine ‘share-alike’-Klausel, sondern stattdessen quasi eine umgekehrte Regelung. Share-alike bedeutet meist, dass abgeleitete Werke ebenfalls offen verwendbar sein müssen. Das ist hier nicht gefordert, man kann für die Nutzer abgeleiteter Daten beliebige zusätzliche Restriktionen festlegen, muss jedoch zusätzlich immer auch die ESA-Restriktionen fordern – also gewissermaßen eher ein ‘restrict-alike’.

Randbemerkung hierzu: Generell finde ich die Anforderung, bei der Verwendung von Bildern und Daten die Quellen anzugeben in Ordnung. Dies ist auch Bestandteil von meinen Lizenzbedingungen für Bilder. Bei der ESA ist dies jedoch ein wenig heuchlerisch, denn die ESA gibt bei der Verwendung von fremden Daten und Bildern praktisch nie Quellen an. Rechtlich ist das nicht zu beanstanden, eine formelle Verpflichtung besteht im Allgemeinen nicht. Wer jedoch glaubt, dass jedes Satellitenbild, welches sich in einer ESA-Publikation findet von einem ESA-Satelliten stammt der irrt. Wenn alle genauso penibel wie die ESA überall ihren Namen sehen wollten, wenn ihre Daten verwendet werden, dann wären die ESA-Webseiten mit Quellhinweisen gepflastert…

Die geplanten Datenprodukte sind auch einen Blick wert. Die Leser, die mit Landsat-Daten vertraut sind wissen, dass diese in Form von WRS2-Kacheln verteilt werden. Das ist ein recht geschicktes System, die WRS2-Einteilung basiert auf der Struktur der Daten, wie sie vom Satelliten kommen. Die Daten bleiben dann bei der weiteren Verarbeitung in dieser Aufteilung, ohne dass dies in der Praxis für den Benutzer lästig wird. Es gibt ein paar Nachteile hiervon, zum Beispiel die Überlappung und Redundanz zwischen benachbarten WRS2-Kacheln entlang der Flugrichtung des Satelliten. Aber ganz allgemein hat sich dieses System über die letzten Jahrzehnte als nützlich und effizient bewährt.

Die ESA plant für die Sentinel-2-Daten einen anderen Ansatz. Für die erste Bearbeitungsstufe (Level-1B) planen sie die Aufteilung der Daten in für heutige Maßstäbe sehr kleine Kacheln im lokalen Koordinatensystem des Satelliten. Für die weitere Bearbeitung (Level-1C) verwenden sie ein abstraktes globales Aufteilungssystem (basierend auf dem MGRS), welches nicht mit dem Erfassungsmuster des Satelliten zusammenhängt. Das bedeutet, dass man nicht ohne weiteres erkennen kann, welche Dateien zum Beispiel die Aufnahmen von heutigen Überflug des Satelliten in der Umgebung eines bestimmten Punktes enthalten. Hierfür muss man die Abfrageschnittstelle (siehe oben) verwenden. Diese System weist sicherlich Vorteile auf, zum Beispiel, dass man es auch ohne Weiteres für weiterführende Datenprodukte unter Kombination mehrerer Aufnahmen verwenden kann. Aber ihm fehlt die Einfachheit des WRS2. Es gibt auch noch einige Unklarheiten, zum Beispiel wie genau die Kanten zwischen den verschiedenen Projektionen des UTM-Systems gehandhabt werden.

Es gibt einen Werkzeugkasten, welchen sie für die weitergehende Bearbeitung der Daten über Level-1C hinaus anbieten, obwohl dieser jedoch als open source verfügbar ist sind hier deutlich die proprietären Traditionen der ESA zu erkennen. Es handelt sich um ein monolithisches Java-System, bei welchen in vielen Bereichen das Rad neu erfunden wird anstatt auf etablierte Open-Source-Systeme zurückzugreifen. Komponenten hiervon in ein existierendes Satellitenbild-Bearbeitungssystem für den Produktionsbetrieb zu integrieren ist vermutlich kaum möglich, Bestimmte Techniken daraus zu extrahieren und zu verwenden wird natürlich durch den Quellcode vereinfacht (obwohl der Gedanke daran, sich hierfür durch einen Haufen Java-Code zu wühlen alles andere als erfreulich ist). Insgesamt sieht dies mehr nach einer Alibi-Aktion in Richtung ‘wir wollen offen erscheinen’ aus als nach einer ernst gemeinten Unterstützung Anderer für die Routinenutzung der Daten.

Der Routinebetrieb und ich nehme an auch die Verfügbarkeit der Daten sind anscheinend in etwa drei Monaten geplant. Dann werden wir sehen, wie das Ganze in der Praxis aussieht.

Nachtrag: Die NASA hat einen schönen Vergleich der Spektralkanäle von Landsat 7&8 und Sentinel 2 gemacht:

Vorher nicht aufgefallen war mir, dass der rote und grüne Kanal (3 und 4) bei Sentinel 2 sehr schmalbandig sind. Für die quantitative Auswertung der Daten ist dies möglicherweise sehr günstig, es könnte aber auch zu einer gegenüber der direkten Betrachtung verzerrte Farbwiedergabe führen.

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