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Ein paar Worte zu den SotM-Stipendien

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Im Science-Fiction-Roman Contact von Carl Sagan, den vermutlich viele meiner jüngeren Leser nicht gelesen haben und der heute vielleicht mit seiner Einbettung in den Kalten Krieg ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint, gibt es etwa in der Mitte des Buches eine bemerkenswerte Geschichte – keine Erzählung von etwas, das tatsächlich im Buch geschieht, sondern eher ein mit Worten gemaltes Bild:

[…] And now along comes an invitation. As Xi said. Fancy, elegant. They have sent us an engraved card and an empty droshky. We are to send five villagers and the droshky will carry them to – who knows? – Warsaw. Or Moscow. Maybe even Paris. Of course some are tempted to go. There will always be people who are flattered by the invitation, or who think it is a way to escape our shanny village.

And what do you think will happen when we get there? Do you think the Grand Duke will have us to dinner? Will the President of the Academy ask us interesting questions about daily life in our filthy shtetl? Do you imagine the Russian Orthodox Metropolitan will engage us in learned discourse on camparative religion?

No, Arroway. We will gawk at the big city, and they will laugh at us behind their hands. They will exhibit us to the curious. The more backward we are the better they’ll feel, the more reassured they’ll be.

It’s a quota system. Every few centuries, five of us get to spend a weekend on Vega. Have pity on the provincials, and make sure they know who their betters are.

Ich möchte dieses Bild hier nicht mit den SotM-Stipendien gleichsetzen, aber diese Geschichte ist etwas, das ich immer im Hinterkopf habe, wenn ich etwas über die SotM-Stipendien lese oder darüber nachdenke.

Wie ich in meinem allgemeinen Blogeintrag zur SotM bereits gesagt habe ist die öffentliche Kommunikation zum Stipendien-Programm der SotM äußerst spärlich. Es gab einen Aufruf zur Bewerbung im Januar, kombiniert mit einigen Erklärungen wie Bewerber ausgewählt werden, welche aber mehr Fragen aufwerfen als dass sie Antworten geben – ich werd darauf weiter unten noch eingehen.

Die Bewerber mussten – wie auch in vergangenen Jahren – Google-Dienste nutzen um ihre Bewerbung einzureichen, was im Konflikt mit der OSMF FOSS policy sowie mit den gesetzlichen Datenschutz-Anforderungen steht.

Das war alles, was es bis zur Konferenz an Informationen zu den Stipendien gab. Auf der Konferenz waren dann im Programmheft die Stipendien-Empfänger aufgelistet sowie die Zusammensetzung des Komitees zur Auswahl der Bewerber. Die Liste der Stipendien-Empfänger steht jetzt auch im wiki. Zum Vergleich gibt es auch die Stipendien-Empfänger von 2017. Zu den Jahren davor sind keine Informationen verfügbar.

Bevor ich mehr ins Detail zur Auswahl und zum Auswahl-Prozess gehe – dass keine Informationen dazu veröffentlicht werden, wer die Auswahl und die Bewertung der Bewerber vornimmt wenn man den Aufruf startet, sich zu bewerben, ist etwas, das egal ob bei Vortrags-Einreichungen oder Stipendien, völlig inkompatibel mit der Idee einer transparenten Organisation ist. Hier schon von Anfang an und nicht erst in Nachhinein Transparenz zu schaffen ist aus meiner Sicht eine Frage der Höflichkeit und des Respekts gegenüber den Bewerbern. Und in diesem Fall ist ja auch noch der Auswahl-Prozess für das Komitee selbst nicht transparent und undokumentiert.

Die Stipendiaten 2018

Wir wissen mittlerweile aus dem Bericht von Christine über die SotM-WG-Arbeit dass es mehr als 200 Bewerber für Stipendien gab. Das ist jedoch nach wie vor alles, was öffentlich bekannt ist.

Wir wissen wie gesagt auch, wer am Ende ausgewählt wurde – das wurde im Programmheft der Konferenz und später im Wiki veröffentlicht. Da wir jedoch keine darüber hinaus gehenden Informationen haben, ist eine Analyse schwierig. Ich werde deshalb nicht die Qualifikation der Stipendien-Empfänger individuell bewerten. Dafür gibt es schlicht und einfach keine Grundlage, ohne irgendwelche Daten über den Bewerber-Kreis. Aber wie man sehen wird, gibt es dennoch einige Anhaltspunkte, welche Rückschlüsse auf den Auswahl-Prozess erlauben.

Die Hälfte der Stipendiaten waren Männer, die andere Hälfte Frauen. Die geographische Verteilung war wie folgt:

  • Europa(Deutschland (x2), Portugal, UK, Russland): 5
  • Mittel-/Nordamerika (Mexico): 1
  • Südamerika (Kolombien): 1
  • Afrika (Uganda, Kenya, Lesotho, Mosambik): 4
  • Asien (Philippinen, Nepal, Bangladesh, Indonesien, China): 5

Mann kann recht klar das Ziel erkennen, zumindest auf den ersten Blick einen Eindruck von Ausgewogenheit in der geographischen Verteilung und bei der Balance Männer/Frauen zu erwecken – ebenso möglicherweise hinsichtlich der Alters-Verteilung (was aber auch Zufall sein kann). Das ist interessant, denn der dokumentierte Prozess beschreibt in keinerlei Weise eine Ensemble-Auswahl, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit der unabhängigen Bewertung einzelner Bewerbungen und es ist extrem unwahrscheinlich, dass so ein Verfahren zu einer Auswahl wie dieser führt – egal wie genau die mehr als 200 Bewerber zusammengesetzt waren. Man kann also schlussfolgern, dass die Bewertung der Einzel-Bewerbungen – auch wenn sie der einzige dokumentierte Teil des Prozesses sind – am Ende sicher nur recht wenig Einfluss auf die Auswahl der Bewerber hatte und dass die Ensemble-Optimierung in Bezug auf irgendwelche Ausgewogenheits-Ziele (welche sicherlich Geschlecht und Herkunft beinhalten – möglicherweise aber auch noch andere Kriterien) einen viel größeren Einfluss hatte, gleichzeitig aber völlig undokumentiert und intransparent ist.

Wenn man noch mal näher auf die geographische Verteilung der Stipendiaten schaut kann man auch sehen, dass die geographische Ausgeglichenheit geringer ist, als dies vielleicht auf den ersten Blick schien. Ja, die Kontinente mit den größten Bevölkerungs-Zahlen sind alle vertreten, was jedoch recht deutlich fehlt sind Stipendiaten aus:

  • dem gesamten Nahen Osten und Zentralasien
  • der gesamten Mittelmeer-Region – und das obwohl die Konferenz in Italien stattfand!

Übrigens fehlten der Nahe Osten, Zentralasien und Nordafrika bereits 2017.

Erwähnt werden sollte, dass die Bevorzugung von Leuten mit englischen Sprachkenntnissen eine absichtliche Präferenz im Stipendien-Programm ist – was natürlich unvermeidbar auch zu gewissen kulturellen Präferenzen führt. Wenn man eine absichtliche Sprach-Präferenz mit einer Ensemble-Optimierung hinsichtlich der grob granulierten geographischen Verteilung kombiniert führt dies sowohl zu den beschriebenen geographischen Lücken auf einer etwas feiner granulierten Ebene als der, für welche optimiert wurde, als auch zu sehr unterschiedlichen Chancen mit ähnlicher individueller Qualifikation je nach dem woher Bewerber kommen. Und auch dass qualifizierte Bewerber aus gewissen Regionen unter den mehr als 200 Personen selten waren ist keine stichhaltige Erklärung, denn die Auswahl beginnt ja schon mit der Art und Weise, wie das Stipendien-Programm insgesamt präsentiert wird.

Das Auswahl-Komitee für die Stipendiaten 2018

Der andere Aspekt, auf den ich einen Blick werfen möchte auf Grundlage der spärlichen verfügbaren Informationen ist das Komitee zur Auswahl der Bewerber. Dieses ist im Programmheft der Konferenz aufgeführt und sieht für 2018 folgendermaßen aus – mit dem Land und verschiedenen relevanten Verbindungen der Mitglieder:

  • Alessandro Palmas (Italien, Lokales Team, PC)
  • Christine Karch (Deutschland, SotM-WG, Geofabik, PC)
  • Gregory Marler (UK, SotM-WG, PC)
  • Heather Leson (Kanada, OSMF Vorstand, HOT, IFRC)
  • Ilya Zverev (Russland, Maps.ME)
  • Johannes Birgir Jensson (Island, lokales Chapter Iceland)
  • Maurizio Napolitano (Italien, Stipendiant 2017)
  • Mikel Maron (US, OSMF Vorstand, SotM-WG, HOT, Mapbox, PC)
  • Rebecca Firth (UK, HOT, Stipendiant 2018)
  • Rob Nickerson (UK, SotM-WG, lokales Chapter UK, PC)
  • Selene Yang (Nicaragua, Geochicas, PC, Stipendiant 2017)
  • Sidorela Uku (Albanien, PC, Stipendiant 2017)
  • Stefano Sabatini (Italien, lokales Chapter Italy, PC)

Mit ein bisschen Zählen erhält man:

  • 8 Mitglieder, die auch im Programm-Komittee waren
  • 4 Mitglieder, die auch in der SotM-WG waren
  • 4 Mitglieder arbeiten für Unternehmen/Institutionen mit OSM-Verbindungen und welche potentielle Sponsoren sind
  • 3 Mitglieder aus Italien (das Gastgeber-Land)
  • 3 Mitglieder aus Großbritannien
  • 3 Mitglieder, die auch HOT-Mitglieder sind
  • 3 Mitglieder, die auch eine Funktion in einem lokales Chapter der OSMF haben
  • 3 Mitglieder, die im Vorjahr Stipendiat waren
  • 1 Mitglied, welches im selben Jahr als Stipendiat akzeptiert wurde

Nun ist mir klar, dass es eine Menge Leute gibt, die darin überhaupt kein Problem sehen und die denken, dass die verschiedenen Verbindungen und mehrfachen Funktionen der Mitglieder nur ein Zeichen für deren Qualifikation darstellen. Ich möchte dem deutlich widersprechen. Fangen wir mit den früheren Stipendiaten an. Ich denke, dass es eine gute Idee ist, frühere Stipendiaten für das Auswahl-Komitee zu rekrutierten. Jemand, der mal Stipendiat war, hat einen recht nützlichen Einblick in die Situation eines Stipendiaten und darin, was für Qualifikationen dafür nützlich sind. Man muss ein bisschen darauf achten, dass das ganze nicht zu einer Art Selbst-Replikation von Präferenzen bei der Auswahl führt, aber das ist handhabbar so lange die ehemaligen Stipendiaten nicht insgesamt dominieren. Aber aus meiner Sicht ist es hierfür absolut essentiell, dass jemand im Auswahl-Komitee für dieses Jahr und für alle späteren Jahre als Stipendien-Empfänger disqualifiziert ist. Alles andere wäre meiner Meinung nach unangemessen. Es scheint mir in Ordnung, dass das Gastgeber-Land eine recht starke Repräsentanz hat, aber drei Personen aus Großbritannien sind meiner Meinung nach an der Grenze von dem was man noch ein geographisch und kulturell ausgewogenes Komitee nennen kann.

Der wichtigste Punkt ist meiner Meinung nach jedoch die Unabhängigkeit der Auswahl der Stipendiaten vom Sponsoring der Konferenz – sowohl auf der Empfänger- als auch auf der Geber-Seite. Auch schon der Eindruck, dass Sponsoren Einfluss auf die Stipendien-Vergabe haben könnten würde meiner Meinung nach die Legitimation des gesamten Programms untergraben. Deshalb sollten sowohl Leute, die für potentielle Sponsoren arbeiten, als auch Leute, die bei der Einwerbung von Sponsoren-für die Konferenz involviert sind, außen vor bleiben.

Ich denke auch, dass es eine schlechte Idee ist, wenn Leute sowohl im Programm-Komitee aus auch bei der Stipendiaten-Auswahl involviert sind. Es gibt unvermeidbar Überlappungen bei den Bewerbern für beides aber gleichzeitig sind die Kriterien für die Stipendien-Vergabe und für die Programm-Auswahl natürlich völlig unterschiedlich. Ein Mitglied beider Auswahl-Komitees, welches gerade eine Stipendien-Bewerbung analysiert und bewertet hat wird bei einer anschließenden Bewertung einer Vortrags-Einreichung der selben Person kaum in der Lage sein, die zuvor für eine andere Zielrichtung gebildete Meinung über die Person einfach zu löschen und völlig unabhängig die Vortrags-Einreichung nach anderen Kriterien zu bewerten. Es ist unvermeidbar, dass sich in einer solchen Situation die Kriterien vermischen und das ist für eine faire Bewertung nicht wünschenswert.

Schlussfolgerungen

Insgesamt habe ich zwei wichtige Kritikpunkte zum Stipendien-Programm der SotM:

Der erste betrifft die Intransparenz, den Mangel an Dokumentation und die fehlende Auditierbarkeit des Auswahl-Prozesses. Dies in Kombination mit deutlichen Hinweisen darauf, dass eine Ensemble-Optimierung und nicht die Individueller Bewertung der Qualifikation die Zentrale Grundlage der Auswahl darstellt und mit den verschiedenen Problemen bei der Zusammenstellung des Auswahl-Komitees bringen mich zu dem Schluss, dass hier dringend eine erhebliche Reform des Prozesses erforderlich ist – auch unabhängig von meinem zweiten Punkt.

Mein zweiter Punkt ist eine deutlich fundamentalere Kritik an der Grundidee eines Stipendien-Programms in der derzeitigen Form. Diese steht in Verbindung zu meinem Zitat vom Anfang dieses Beitrags. Die Frage, die ich mir hier stelle – und ich denke, dass sich jeder diese Frage stellen sollte – ist was eigentlich der Zweck des Stipendien-Programms ist. Ja, oberflächlich ist dieser, Leuten den Konferenz-Besuch zu erlauben, die sich dies aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht leisten können. Aber ich denke nicht, dass man sich die Sache so einfach machen kann. Warum denken wir, dass dies zu tun etwas Gutes ist und noch wichtiger: Warum ist es besser, Geld dafür auszugeben als für andere Dinge?

Die ganze Idee, Leute aus ihrem schäbigen Dorf auf die große und herausgeputzte OSM-Konferenz zu transportieren, halte ich für hoch problematisch. Wenn man die Leute dahin transportiert, “wo OpenStreetMap derzeit passiert” zementiert dies im Grunde nur die Tatsache, dass OpenStreetMap ein Projekt einer kleinen, privilegierten Welt in Europa und Nordamerika ist. Wenn wir OpenStreetMap wirklich globaler machen wollen müssen wir darin investieren, die Idee von OpenStreetMap in die Welt zu transportieren, und zwar ohne die Welt mit unseren kulturellen Werten zu kolonisieren, die wir über die Grundidee von OpenStreetMap, eine Karten von Menschen für die Menschen zu produzieren, gestülpt haben. Ein Stipendiat auf der SotM wird dort hauptsächlich erfahren, wie die Privilegierten und Wohlhabenden OpenStreetMap machen und werden diese Vorstellungen dann mit nach Hause bringen, wo sie recht kontraproduktiv dafür sein können, dass die lokale Community dort ihre eigene OSM-Identität entwickelt.

Ja, dieses Bild ist natürlich etwas einseitig, aber dies ist ein wichtiger Gegenpunkt zu dem Narrativ, dass wir altruistisch Leuten die Möglichkeit zum SotM-Besuch eröffnen, die sich dies ansonsten nicht leisten könnten. Die Idee, dass die Stipendien hauptsächlich zum Nutzen der Stipendien-Empfänger und deren lokaler Communities sind, ist Unsinn. Sie sind mindestens im selben Ausmaß dafür da, dass wir uns mit unseren komfortablen Lebens-Situationen in Europa und Nordamerika besser fühlen, weil wir ein bisschen oberflächliche Vielfalt in unsere Welt hereinlassen – ohne dass diese Vielfalt den Status quo irgendwie nennenswert gefährdet, denn wir transportieren diese Leute ja zu uns, wo sie sich an unsere Kultur anpassen müssen, und nicht anders herum und wir transportieren sie dann sofort wieder zurück, nachdem sie ihre Funktion erfüllt haben.

Was auch immer Ihr für eine Meinung in Bezug auf die SotM-Stipendien entwickelt – macht nicht den Fehler, die Erzählung zu übernehmen, dass das einfach eine selbstlose Hilfsaktion ist, um leuten mit geringen finanziellen Ressourcen zu helfen. Ich möchte nicht sagen, dass Stipendien unter keinerlei Umständen irgendeinen positiven Nutzen haben, aber ich denke, dass bis jetzt noch niemand ein ausgeglichenes und selbstkritisches Konzept präsentiert hat, wie SotM-Stipendien aus einer moralischen Perspektive heraus funktionieren können und wie ein Stipendien-Programm gestaltet sein muss, um diesem Ziel gerecht zu werden.

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